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Feldforschungsbericht zum Besuch

eines Sonntagsfests im ISKCON-Tempel in Zürich

Veröffentlicht auf www.religion.ch - Geschrieben von Michael Brunner am 6.Dezember 2012

 

 

Woher kommen die Informationen zum Thema Religion? Wie kommen die Daten zu religiösen Gemeinschaften zu Stande? Natürlich können die Gruppen selbst angefragt werden. Das ist bestimmt interessant, zeigt aber nur eine Sicht, die ihrige. Doch wie sind die Gruppen in die Schweizer Gesellschaft eigebettet, vernetzt und wie werden sie wahrgenommen? Diese Fragen werden von Religionswissenschaftlern bearbeitet, indem sie sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden wie Interviews, Beobachtungen und Umfragen anwenden. Diese Forschungsmethoden können und müssen während dem Studium erprobt und geübt werden. Es ist nicht ganz leicht an einer religiösen Veranstaltung teilzunehmen, ohne zu werten, Interviews zu führen, ohne zu oft zu unterbrechen und gute Umfragebogen zu erstellen, deren Auswertungen Aussagekraft besitzen. Michael Brunner, Student Religionswissenschaft an der Universität Bern, stellt uns hier ein Beobachtungsprotokoll zur Verfügung das zeigt, wie spannend, aber auch schwierig religionswissenschaftliche Feldforschung sein kann. Dazu hat er den Krishna-Tempel in Zürich besucht. 

Einleitung von Noemi Jenni

 

Feldforschungsbericht zum Besuch eines Sonntagsfests im ISKCON-Tempel in Zürich

 

Nachdem ich trotz Wegbeschreibung einige Probleme hatte, den ISKCON-Tempel Zürich zu finden, kam ich mit einigen Erwartungen und noch mehr Neugierde, was mich wohl genau erwarten würde, schliesslich doch um ungefähr halb Vier Uhr nachmittags an der Bergstrasse 54 an. Eine erste kleine Überraschung war bereits die Lage des Tempels bzw. das Hare-Krishna1-Gebäude selbst. Obwohl mir im Voraus bekannt war, dass das Krishna-Zentrum in einer alten Villa beheimatet ist, hätte ich doch erwartet, dass es vielleicht etwas stärker hervorstechen würde. Wäre da nicht das Treiben der Tempelbesucher gewesen, hätte man nämlich – wie ich finde – nicht zwingend den Eindruck, dass es sich hier inmitten eines doch relativ „noblen“ Wohnviertels um ein religiöses Zentrum handle. Ich fand es recht imposant, wie es den Krishna-Jüngern gelungen ist, das Gebäude ihrem Nutzen entsprechend umzubauen bzw. einzurichten. Auf mich wirkte dies gleichzeitig sehr zweckmässig aber auch durchaus bemüht um eine gewisse indisch anmutende Ästhetik und Authentizität (vor allem natürlich der Tempelraum selbst). Mir erschien es auch bemerkenswert, wie offen zugänglich der ganze Komplex ist, bzw. dass es eigentlich ein ziemlich reges Kommen und Gehen der wie auch immer genau affiliierten Besucher des Tempels gab. Dass sich die ISKCON hier anscheinend sehr stark der (interessierten und auch kritischen) Öffentlichkeit zuwendet, empfand ich dann auch durch den kleinen Verkaufsstand, der auf mich beinahe den Eindruck eines ziemlich kommerziell ausgerichteten „Souvenirshops“ machte, bestätigt. Ähnlich sind zudem wohl auch die Bibliothek und das Prabhupada-“Museum“ in der zweiten Etage des Gebäudes, die ich leider jedoch nicht betreten habe, zu interpretieren. Ein kleines Detail sei an dieser Stelle noch genannt, das bei mir den Ein- druck festigte, dass sich die ISKCON hier in Zürich doch recht stark bemühte, auch nicht negativ (gegenüber den Nachbarn) aufzufallen. So fiel mir im Tempelraum ein kleiner Hinweiszettel an den Fenstern auf, der darauf hinwies, diese bei den Lärm-intensiven Tätigkeiten (Bhajan-Musik, Chanten, Puja), geschlossen zu halten.

Programm des Sonntagsfestes

 

Damit will ich etwas näher auf die einzelnen Programmpunkte des Sonntagsfestes eingehen, bei denen ich anwesend war. Bei meinem ersten Eintritt in den Tempelraum während der Bhajan-Darbie- tung/des Mahamantra-Chanten ungefähr um 15.40 Uhr war ich über die zuerst sehr geringe Anzahl der Devotees im Raum überrascht und hatte - damit verbunden - auch im ersten Moment das Gefühl bei etwas Privatem zu stören. Dies legte sich dann, als sich der Raum begann mit weiteren (vermutlich) Krishna-Anhängern und später natürlich auch weiteren Kursteilnehmern zu füllen. Der anschliessende Vortrag von Adi Purusa Dasa war dann recht interessant. Der Vortragende kam ziemlich charismatisch rüber und verband (auch westliche) Gelehrsamkeit und den Bezug auf die heili- gen Schriften mit einer sympathischen, humorvollen Art, die immer wieder unterhaltsame Anekdoten einfliessen liess. Bezüglich des Inhaltes hatte ich das Gefühl, Adi Purusa Dasa habe hier eher basale, wenn nicht gar fundamentale „hinduistische“ Themen aufgegriffen („Karma“ und das An- haften an der materiellen Welt), verpackt in die kontroverse Fragestellung der Theodizee. Interessant wäre es natürlich zu wissen, ob und wenn ja, inwiefern der Referent seine Ausführungen unserem angekündigten Besuch angepasst haben mag. Etwas zurückhaltend erschienen mir die Reaktionen der Anwesenden/Devotees bei der anschliessenden Fragestunde. Nur ein Zuhörer wandte sich nach Ende des Referates mit einer Frage an Purusa Dasa. Ob auch dies möglicherweise mit der Anwesenheit einer grösseren Gruppe (angehender) Religionswissenschaftler und entsprechenden Vorbehalten bzw. Reservationen der Devotees zusammengehangen hat, kann sicherlich ebenfalls in den Raum gestellt werden. Was mir rückblickend bezüglich des Vortrages zudem auffällt, ist, dass während der Rede – gerade im Gegensatz zur späteren Puja – der Anteil nicht-westlicher Tempelbesucher (sofern man dies überhaupt äusserlich erkennen kann) relativ gering war. Mögliche Erklärungsversuche, die mir diesbezüglich durch den Kopf gegangen sind, waren einerseits eine mögliche Sprachbarriere (wobei ich aber natürlich nicht weiss, welche Sprache für die Vorträge der Sonntagsfeste der Regelfall ist), andererseits die Ãœberlegung, dass für die zahlreichen Tamilen im Tempel, die möglicherweise einer anderen oder generelleren Form von Vaishnavismus (oder gar Shaivismus?) anhängen, explizit ISKCON-geprägte „theologische“ Interpretationen weniger von Inter- esse bzw. Relevanz sind oder ihnen aufgrund des ziemlich grundlegenden Inhaltes nichts Neues mehr zu bieten vermögen.

Das anschliessende indische, vegetarische Essen schmeckte mir ziemlich gut. Etwas überrascht war ich von der Tatsache, dass wir es im Tempelraum zu uns nehmen konnten. An dieser Stelle will ich daher auch einige weitere meiner Beobachtungen bezüglich der Frage nach einer „Atmosphäre“ im Tempel ausführen. Ziemlich interessant, und in Hinblick auf meinen eigenen (wenn auch nur mässig) christlichen Hintergrund recht ungewohnt, empfand ich die Gleichzeitigkeit einer sehr laut und „bunt“ ausgedrückten Krishna-Verehrung und einer dennoch gut spürbaren andächtigen Stimmung. Zudem fiel mir auf, dass dem ganzen Ablauf eine übergeordnete, „leitende“ Figur, wie man es eben- falls von christlichen Gottesdiensten her kennt, zumindest vordergründig fehlte und die Tätigkeiten (von der Musik über die Essensausgabe bis zur Puja) auf recht viele Personen verteilt waren. In kleinerem Rahmen bestätigte sich dieser Eindruck bei der Puja, die ebenfalls ohne erkennbare Leitung ablief, bei der aber trotzdem der Ablauf klar definiert schien und auch von den Devotees ver- standen und befolgt wurde. Auch die Aktionen des Pujari pendelten hier in meiner Wahrnehmung zwischen einer interessanten geradezu willkürlich anmutenden Beiläufigkeit und nichtsdestotrotz klar strukturierten Bewegungsabläufen.

 

Die Diskussions-/Fragerunde mit Sacisuta Devi Dasi und Krishna Premarupa Dasa war ziemlich aufschlussreich, hatte aber natürlich einen gewissen anderen Charakter als der Rest des Programmes, da wir hier nicht mehr unmittelbar in einem authentischen Umfeld tatsächlicher religiöser Praxis waren. Man hat auch deutlich gemerkt, dass Sacisuta und der Tempelpräsident dies nicht zum ersten Mal gemacht haben, sondern diese Art von „Öffentlichkeitsarbeit“ von der ISKCON wohl doch ziemlich aktiv und regelmässig betrieben wird. Bemerkenswert war die Offenheit und (zumindest so wirkende) Ehrlichkeit, mit der die Beiden die Fragen beantworteten. Vor allem der Lebens- lauf von Sacisuta Devi Dasi bot einige interessante Aussagen zur Frage, wie sich ein westlicher ISKCON-Anhänger (bzw. eine Anhängerin) heutzutage in seinem (ihrem) westlich-säkularen Um- feld arrangiert, d.h. im Falle Sacisutas, dass sie ausserhalb des Tempels in der Öffentlichkeit ihre Zugehörigkeit zum Hare-Krishna-Glauben weitgehend für sich behält. Relativ erstaunlich waren für mich die Ausführungen Krishna Premarupas noch während des Essens, aus denen, wie ich finde, herauszulesen war, dass sich selbst der Tempelpräsident durchaus vorstellen kann, dass seine ISKCON-Tätigkeit bzw. sein Mönchsleben nur auf eine begrenzte Zeit angelegt sei. Krishna-Bewusstsein hat auf mich in den Ausführungen der befragten Devotees wie eine in unterschiedlichem Grade umsetzbare Option auf einem grundsätzlichen spirituellen Weg gewirkt, wobei durchaus an- erkannt wird, dass diese nicht von allen Menschen angenommen werden will (oder kann?), was doch eigentlich im Gegensatz zur verbreiteten Vorstellung starker Missionstätigkeit der Bewegung zu stehen scheint. Hier erscheint die Zürcher Hare-Krishna-Gemeinschaft tatsächlich in Vielem jenem reformierten Bild der ISKCON zu entsprechen, wie es in der Sekundärliteratur gezeichnet wird und das von einem stark exklusivistischen Religionsverständnis Abstand nimmt.

 

Neue Erkenntnisse

 

Den grössten Erkenntniswert brachte der Tempelbesuch für mich jedoch bezüglich der Zusammensetzung der ISKCON-Devotees. Das Sonntagsfest bot eine gute Gelegenheit, die personelle Struktur der Gesellschaft, wie sie sich in der Schweiz (oder zumindest im Raum Zürich) darstellt, zu beobachten. Als Erstes fiel mir diesbezüglich auf, dass unter den im Tempel lebenden Brahmacaris nur Männer vertreten (oder zumindest anwesend) zu sein schienen, wobei diese bis auf die Ausnahme des Pujari allesamt jünger als 40 Jahre waren und folglich wohl weder der ersten noch der zweiten ISKCON-Generation zugerechnet werden können. Allgemein war das Publikum des Festes doch deutlich heterogener, als dass ich es mir zuvor vorgestellt hatte. So hatten zwar neben den Brahmacaris vor allem einige Frauen (die mir nicht Tempelbewohner zu sein schienen) „traditionelle“ Klei- dung (Saris) an; bei den Männern (sowohl bei „westlichen“, als auch „asiatischen/tamilischen“) hin- gegen gab es sehr viele, die anscheinend in „zivil“ den Tempel besuchten, und denen man ihr Krishna-Bewusstsein auf der Strasse wohl nicht unbedingt ansehen würde. Gerade bei der Puja erschien mir der Anteil nicht-westlicher Devotees zudem ziemlich hoch. Generell hatte ich das Gefühl, dass die (Arati)-Zeremonie und die entsprechenden Weihungen für jene Krishna-Anhänger, die man wohl eher der „weiteren Gemeinde“ der Krishna-Anhänger zurechnen muss, den Höhepunkt des Sonntagsgottesdienstes darstellten. Hier war dann auch der Anteil an Familien mit ihren Kindern eindeutig am höchsten. Eine Frage, die sich mir in Hinblick auf die tamilischen Gläubigen leider auch erst in der Retrospektive gestellt hat, deren Antwort aber sicherlich recht interessant wäre, ist jene, ob und auf welche Art und Weise denn im Nebenraum, in dem wir mit den beiden Devotees in der Runde gesprochen haben, bei anderen Veranstaltungen ebenfalls religiöse Zeremonien stattfinden bzw. konkreter, inwiefern gerade die dort sich befindenden Statuen von Shiva (Nataraja) und seinen Söhnen Ganesha und Murugan möglicherweise einem weniger explizit Krishna-bewussten bis gar shaivistischen Publikum als Verehrungsgegenstand dienen. Oder anders ausgedrückt: Ob auch in Zürich die ISKCON sich gegenüber weiteren 'gemein-hinduistischen' Praktiken geöffnet hat, wie es in der Literatur häufig beschrieben wird.

 

Was leider ebenfalls bei diesem Besuch nur wenig zu erfassen war, da wir uns ja hauptsächlich im Tempelraum aufgehalten haben und mir dort die Interaktion zwischen den Devotees sowohl während des Mahamantra-Chantens als auch der Arati-Zeremonie (für eine religiöse Zeremonie natür- lich wenig überraschend) relativ gering erschien, war das erweiterte und kommunikative Gemeinde- leben. Einzig bei der vedischen Mahlzeit erschien mir der Tempel hier die Funktion eines generellen kulturellen Treffpunkts und Austauschortes einer religiösen Gemeinde vergleichbar mit einem christlichen Kongregationsprinzips zu erfüllen. Ich habe aber das Gefühl, dass es diesbezüglich bei einem weiteren Besuch mit anderem Beobachtungsschwerpunkt durchaus noch Weiteres zu notieren gäbe.

Ein weiterer Aspekt, der mir erst rückblickend zu meinem Erstaunen aufgefallen ist, ist die eigentlich recht schwache Präsenz der Person Prabhupadas. Natürlich ist er durch seine Statue im Tempelraum (die wahrscheinlich auch ihre täglichen rituellen Ehrerbietungen, d.h. Waschungen etc., erhält) und auch die zahlreichen Bücher von ihm bzw. die Ausstellung über ihn unübersehbar. Gerade während des Vortrages von Adi Purusa Dasa hätte ich aber eigentlich mehr Bezüge auf den verstorbenen Guru erwartet und auch im Gespräch mit Sacisuta und Krishna Premarupa fiel der Name, wenn ich mich recht entsinne, höchstens ein einziges Mal. Ich frage mich, ob das eventuell damit zusammenhängen mag, dass der Zürcher Zweig der ISKCON anscheinend einen doch ziemlich „reformierten“ Eindruck macht, und sich dementsprechend möglicherweise auch von einer sehr dogmatischen Anbindung an Prabhupada zum Teil abgewandt hat.

 

Insgesamt war der Besuch in Zürich ein ziemlich aufschlussreiches Erlebnis, das selbst in seiner sicherlich nur sehr beschränkten Aussagekraft bereits einiges zu bestätigen scheint, was zuvor über die Sekundärliteratur zur Entwicklung und den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein in Erfahrung gebracht werden konnte. Auch wenn es banal klingen mag, hat dieser tatsächliche, unmittelbare Kontakt mit Menschen, die dieses zuvor nur theoretisch wahrgenommenen Konstrukt „ISKCON“ aktiv leben und gestalten, meinen Blick auf diese Bewegung doch recht stark erweitert, viele Fragen geklärt und wahrscheinlich noch mehr neue aufgeworfen.

 

1. Zum Zweck der Vereinfachung und besseren Lesbarkeit werde ich im Folgenden bei der Verwendung von indischen (Sanskrit-)Ausdrücken und -Namen auf diakritische Zeichen grundsätzlich verzichten.

2.  Z.B. bei E. Burke Rochford, Jr.: Hare Krishna Transformed (The New and Alternative Religions Series, Bd. 1), New York University Press, New York 2007, Kapitel 8, „Hindus and Hinduization“.

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